Materialien zu Veranstaltungen (alt)


Zum Schwerpunkt Sommer 2015: Die Angst in der Psychoanalyse

„Das älteste Gefühl der Menschheit ist die Angst“, so der Horrorschriftsteller H. P. Lovecraft. Zwar ist das Jahrhundert der Angst, wie Camus das 20. Jahrhundert bezeichnete, bereits Vergangenheit, aber nach wie vor ist es die Angst, die sich unablässig in das Subjekt einschreibt.

Paradoxerweise haben wir uns einerseits eine riesige Kultur der Angst bzw. der Angstlust geschaffen, die vom Kindervers („…fressen ihn die Raben“), über den Gruselfilm, bis zum Thrill bei Extremsportarten und Achterbahnfahrten reicht. Andererseits sind wir unserer Angst gegenüber misstrauisch geworden. Sie erscheint uns als etwas Fremdes. Unsere Ängste sind „irrational“ geworden. Sie werden pathologisiert, dienen nicht mehr einem Gewahr Werden unserer Grenzen, sondern sind nur noch Symptome und Ausdruck von Störungen, die es zu beheben gilt.

Wir werden uns in diesem Semester – auch als Vorbereitung zur Summmerschool über Angst (Lacan Seminar Zürich, 13. bis 17. Juli 2015) – mit philosophischen und psychoanalytischen Texten zum Thema auseinandersetzen, u. a. mit Freuds Aufsatz „Das Unheimliche“ und Kommentaren dazu sowie mit Lacans Seminar X, „Die Angst“.

Neben dieser Textarbeit wenden wir uns im Rahmen von Vorträgen beispielsweise über Ängste bei Kindern auch klinischen Fragen zu.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, zusammen Filme anzusehen, die das Gefühl der Angst in erhellender Weise hervorrufen oder zu erklären suchen.


Flyer der Summerschool 2015 zum Thema Angst:

Ohne Titel


Zum Schwerpunkt Sommer 2014:

Die psychoanalytische Klinik

Die Psychoanalyse entstand im Umfeld der Medizin und Psychiatrie. Nach anfänglichen Gemeinsamkeiten trennten sich die Wege beider Disziplinen weitgehend, sowohl hinsichtlich der Diagnostik als auch der Behandlung von psychischen Krankheiten.

Die aktuellen globalen psychiatrischen Klassifikations-systeme wie das DSM-V und die ICD-10 gehen von einzeln aufgelisteten Symptomen aus, welche wiederum in unzählige Störungsgruppen eingeteilt werden. Diese wiederum korrelieren mit den von Krankenkassen anerkannten therapeutischen Techniken und Pharmazeutika für jede dieser Störungen. Diese Diagnosesysteme haben den Anspruch, frei von ätiologischen Vorannahmen und rein deskriptiv zu sein. Die Nomenklatur dieser Klassifikationssysteme hat sich in den Kliniken durchgesetzt, sie stellen gleichsam eine Brille dar, durch welche die Kliniker schauen. Dies hat weitreichende Folgen: Was nicht Teil dieses Ansatzes ist, wird leicht übersehen bzw. überhört. So ist z.B. der Begriff der Neurose nicht nur aus der ICD-10 verschwunden, sondern auch aus dem Bewusstsein vieler junger Kliniker. Die Psychoanalyse geht, im Gegensatz zur Psychiatrie, nicht symptomorientiert vor, sondern sie stellt den zugrunde liegenden unbewussten Konflikt ins Zentrum. Symptome sind für die psychoanalytische Klinik Manifestationen eines Diskurses des Unbewussten und rückführbar auf einige wenige Strukturen: Neurose, Psychose und Perversion.

Bei der Behandlung von psychischen Krankheiten sind das Sprechen und Hören entscheidend für die psychoanalytische Klinik. Worin unterscheiden sie sich vom Sprechen und Hören im Alltag  und von den Heilberufen? Neben dem Inhalt der Rede des Analysanten interessieren uns auch deren Form und die Art des Sprechens. Ist seine Rede lebhaft oder karg? Spricht er ohne Punkt und Komma oder bricht der Redefluss immer wieder ab? Hört er einen Witz oder eine Zweideutigkeit? Wie bezieht er sich auf den Analytiker?

Das Subjekt weiss nicht, was es da sagt; es sagt nicht das, was es zu sagen beabsichtigt. Im Sprechen des Subjekts interveniert ständig eine verdrängte, unbewusste Wahrheit, die sich sagen will und die gleichzeitig unterdrückt wird. Die Analyse soll dem Subjekt dazu verhelfen, diese unbewusste Wahrheit anzuerkennen und seinem eigenen Begehren folgen zu können.

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Zum Seminarzyklus Sommer 2012: Psychoanalyse und Sozialarbeit

Annemarie Hamad, Paris

Martin Feuling, Tübingen

Beat Manz, Triesen

“Für mich hat immer gegolten, dass die Rolle des Psychoanalytikers sich nicht auf die eigentliche Kur, noch die egoistische Bewirtschaftung eines Wissens beschränken solle, sondern sie soll sich, ausgehend von seiner Erfahrung menschlichen Leidens über das Behandlungszimmer und dessen Konzepte hinaus erstrecken auf sein gesellschaftliches und öffentliches Tun, auf seine alltäglichen Interventionen“ (Françoise Dolto).*

Die Begriffe Sozialarbeit und Psychoanalyse scheinen sich auf den ersten Blick zu widersprechen. Eine klassische analytische Situation kann nicht eins zu eins auf dem Feld der sozialen Konflikte und Schwierigkeiten reproduziert werden. Aber die Ethik, mit der die Psychoanalyse arbeitet, ist möglicherweise genau das, was in diesem Kontext – in psychiatrischen Kliniken, Gefängnissen, Spitälern, in der Familienberatung, Paarberatung, Suchtberatung, in Geriatrie und Kulturvermittlung – wirksam sein kann. Das Bezeugen eines Mangels, das offene Ohr für „eine Geschichte“ kann hier und dort eine Sprengkraft entwickeln, die festgefahrene Situationen auf einen überraschenden Ausweg hin öffnet und Kreativität freisetzt, wo vorher nur Ausweglosigkeit und Entmutigung herrschten. Umgekehrt sieht sich die Psychoanalyse, verlässt sie einmal ihre geschützte Werkstatt, als Praxis und Theorie bei solchen Einsätzen im Feld auf die Waage geworfen und muss zeigen, dass sie gesellschaftsfähig ist im umfassenden Sinn des Wortes. Die Begegnung mit nicht-standardisierten Situationen könnte auch bei ihr eine neue Kreativität auslösen.

*J’ai toujours pensé, pour ma part, que le rôle du psychoanalyste ne se limite pas à la cure proprement dite, ni à la capitalisation égoiste d’un savoir, mais s’étend, prenant racine dans son expérience de la souffrance humaine, au-delà de son cabinet et de ses concepts, à ses activités sociales et publiques, à ses interventions quotidiennes“  (Doltó, F., 1986, La difficulté de vivre. Paris: Vertiges du Nord).

Annemarie Hamad, Paris

Empfinden, Verlieren, Finden, Erfinden

Freitag, 30.3. und Samstag, 31.3.2012

Martin Feuling, Tübingen
Die Grenzen des Machbaren – Aspekte der Kastration (in) der Institution
Freitag, 28. 4. und Samstag, 29. 4. 2012

Beat Manz, Triesen
Von der psychoanalytischen zur institutionellen Pädagogik
Freitag, 6. 7. und Samstag, 7. 7. 2012

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Zum Programm des Wintersemesters 2010/11

Das Lacan-Seminar stellt im kommenden Wintersemester wieder einmal ein Thema in den Mittelpunkt: den oralen Trieb. Er umfasst sowohl das, was Freud mit Nahrungstrieb als auch das, was Lacan mit pulsion invocante/Anrufungstrieb bezeichnete. Im Zentrum steht die erogene Zone des Mundes; das eine Mal ist er aufnehmendes Organ, das andere Mal ausstossendes. Dabei darf die Asymmetrie nicht übersehen werden, denn die Register des Symbolischen, des Imaginären und des Realen sind nicht zu gleichen Teilen in ihnen wirksam.

Ist die Stimme in den letzten Semestern in unseren Kreisen wiederholt thematisiert worden, so gilt dasselbe nicht für den oralen Trieb im Sinne der Nahrungsaufnahme. Auch er verdient unsere Beachtung, denn seine pathologischen Formen, Anorexie und Bulimie, spielen in der psychoanalytischen Klinik ebenso eine Rolle wie diejenigen der Stimme.

Auch der Zusammenhang der Oralität mit den Formen der Identifizierung ist bedeutsam. So führt Freud (in Massenpsychologie und Ich-Analyse) die erste Form der Identifizierung auf den oralen Trieb zurück; er gibt damit einen Hinweis, dass dieser besonders eng mit der Frage nach dem Sein verknüpft ist, während den anderen Trieben eher ein Bezug zum Haben innewohnt.

Von den Veranstaltungen, die im Rahmen des Lacan-Seminars in diesem Wintersemester stattfinden, sind deren drei explizit auf das Thema des oralen Triebs bezogen: ein Seminar mit Dieter Sträuli, ein weiteres mit dem Strassburger Analytiker Marc Lévy, ein Vortrag der Hamburger Literaturwissenschaftlerin Marianne Schuller. Ob das Thema im Sommersemester 2011 fortgesetzt wird, ist zur Zeit der Planung des Wintersemesters noch offen, hängt wohl auch vom Verlauf dieser Veranstaltungen und von ihrem Zuspruch ab.

Zürich, im August 2010                                   Der Vorstand

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Als Einstimmung auf Vortrag „Mundlust. Zum Oralen in der Literatur“ Marianne Schuller vom 10.12.:

Vortrag „Das Komische und das Gesetz. Nach Kleists Lustspiel Der zerbrochne Krug“ den Marianne Schuller vergangenen März in Karlsruhe gehalten hat.

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Benno Wirz: Das Dunkle und die Subjektivität. Überlegungen zur systematischen Relevanz von Negativität in der Philosophie Descartesʼ

Abstract: René Descartes gilt als philosophische Vaterfigur der Neuzeit, insofern er Philosophie auf dem unerschütterlichen Fundament des ego cogito neu begründet und damit die Frage nach der Subjektivität ins Zentrum philosophischen Interesses gestallt hat. Auch für Lacan ist das ego cogito von zentralem theoretischen Stellenwert, beruht doch für ihn die analytische Situation auf dem cartesischen fundamentum inconcussum. Doch kritisiert er Descartes, das ego cogito in einen metaphysischen Zusammenhang gestellt zu haben, der vergeblich versucht, einen fundamentalen Mangel durch ein systematisches Obdach zu übersteigen. Lacan entwirft ausgehend von und zugleich in kritischer Distanz zu Descartes eine Art prekärer Subjektivität.

Dagegen geht der Vortrag davon aus, dass Lacans Descartes-Rezeption einer traditionellen Lesart angehört. Sie fasst den Vater der modernen Philosophie als einen erkenntnistheoretischen Fundamentalisten auf. Dieser fundamentalistischen Lesart versucht der Vortrag eine andere entgegenzusetzen. Die Lektüre von Descartes’ Meditationes de Prima Philosophia, die hier vorgestellt werden soll, fokussiert auf die Thematik des Dunklen und Verworrenen als systematische Momente von Negativität im Denken Descartes’. Anhand dieser Lektürehinsicht melden sich im Text Ambivalenzen, insbesondere in der Argumentation des ideentheoretischen Gottesbeweises der III. Meditation, welche dem Projekt einer philosophischen Neubegründung auf unerschütterlichen Prinzipien entgegenarbeiten. Diese Ambivalenzen zeigen sich etwa darin, dass Descartes das Dunkle und Verworrene im Gottesbeweis als Argument einsetzt, welches die Unerschütterlichkeit der freigelegten Prinzipien, insbesondere des ego cogito, zugleich stützt und unterläuft.

Ziel des Vortrags ist es, anhand der vorgestellten Lektüre zu zeigen, dass sich bereits bei Descartes Spuren einer prekären Subjektivität im Sinne Lacans finden lassen, trotz der Einbettung des ego cogito in ein metaphysisches Gedankengebäude. Descartes – so die Leitthese des Vortrags – formuliert zu Beginn der Neuzeit eine Auffassung von Subjektivität, die insbesondere in den negativen Momenten der Unvollkommenheit, Endlichkeit und Zeitlichkeit mit derjenigen Lacans einige strukturelle Verwandtschaft hegt.

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André Michels: „Am Leitfaden der Schrift“

Abstract: Der Artikel beschäftigt sich mit der Abgrenzung von Psychoanalyse und Neurowissenschaft. Zwei Begriffe stehen dabei im Zentrum: zum einen der Triebbegriff, dieser Grenzbegriff, „Ausser-Körper“, „Ausser-Seele“, Shibboleth, das die Psychoanalyse von allen anderen Diskursen unterscheidet, Grenzort, externe Position, von der aus das Subjekt erst zu Körper und Sprache kommt; zum anderen der Buchstabe als das, was Triebverzicht und Differenz einführt und damit eine ganz andere Transmission in Gang bringt als neurowissenschaftlich konzipiertes Lernen.

Stichwörter: Epistemiologie, Psychoanalyse, Neurowissenschaft, Trieb, Kastration, Sprache

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Vortragsmanuskript von Michael Schmid: „Das Unbewusste, die Figur des Vaters und das Problem, den Islam zu verstehen“